Autor: Uwe Sommersguter
erschienen am 04.07.2024 in Kleine Zeitung
ANALYSE. Der Kärntner Cloud-Anbieter wurde Opfer des US-Konzerns Broadcom, der langfristige Verträge kündigte und Preise vervielfachte. Doch Anexia konnte sich mit enormen Aufwand befreien.
„Weckruf für die Softwarewelt“ nennen Fachmedien einen in Europa bislang wohl einmaligen Vorgang, der den Kärntner Cloud-Dienstleister Anexia auf den Kopf stellte: „Wir sind von einem Multimilliarden-Dollar-Konzern – der elftgrößte der Welt – erpresst worden“, bringt Anexia-Chef Alexander Windbichler die Dramatik der letzten Wochen gegenüber der Kleinen Zeitung auf den Punkt. Anexia, ein renommierter europäischer Cloud-Anbieter, wurde zum Opfer eines US-Konzerns – und konnte sich aus dessen Fängen befreien.
Die Vorgeschichte: Die Software von VMware ist für viele Clouddienste, auch Anexia, essenziell und praktisch alternativlos. Die Übernahme durch den wenig bekannten Giganten Broadcom versetzte die Branche daher weltweit in Aufregung. Zurecht, denn Broadcom machte kurzen Prozess und setzte seine Kunden schwer unter Druck. Zwei Tage vor Weihnachten des Vorjahres wurden, wie Windbichler betont, „rechtswidrig“ langfristige Verträge kurzerhand gekündigt – per 1. Mai 2024. Die Preise für neue Produkte wurden um das bis zu Zwölffache nach oben geschnalzt. Anexia hätte einen Dreijahresvertrag abschließen müssen, die Kosten wären verachtfacht und im Voraus fällig geworden. Die jährlichen Zusatzkosten, die auf Anexia-Kunden zugekommen wären: mehrere Millionen Euro. „Das war entweder extrem schlau – oder extrem dumm“, sagt Windbichler heute.
Doch statt wie so viele andere auf die, so Windbichler, „versuchte Nötigung“ einzusteigen, richteten die Kärntner ein Notfallteam ein und vollbrachten eine „Heldentat“, wie Windbichler heute erklärt. Die gesamte Organisation, rund 400 Mitarbeiter, ordnete sich seit Ende 2023 einem einzigen Ziel unter: Bis zum 30. April eine Lösung auf sogenannter „Open Source“-Technologie zu entwickeln, die jede Abhängigkeit ausschließt. „Nach rund 100.000 Arbeitsstunden innerhalb von vier Monaten haben wir ein Statement für Europa gesetzt“, erklärt Windbichler: Am 30. April um 23.46, 14 Minuten vor Ablauf der Frist (die kurzfristig um einen Monat verlängert wurde) „sind wir von Broadcom weg“. Dieser Kampf um Unabhängigkeit sei extrem „nervenintensiv“ gewesen, für etliche Mitarbeiter ging es dabei „weit über der Belastungsgrenze“. Man habe „einen Herzschrittmacher bei einer Operation am offenen Herzen ersetzt“.
Windbichler hat in diesen Wochen „zum ersten Mal erlebt, wie große Konzerne agieren, wie sie sich stumm- und totstellen.“ Das Beispiel zeige aber auch, wie wichtig es sei, dass Europa souverän agiert: „Die europäische Souveränität ist unersetzbar“, betont Windbichler, „doch Europa und die USA pflegen keine faire Partnerschaft auf Augenhöhe.“ Anexia gelang es, sich aus den Fangarmen des Kraken zu befreien: „Heute kann uns keiner mehr etwas diktieren.“
Europa aber sei weiter extrem verwundbar, warnt Windbichler, und könnte von Cloud-Anbietern außerhalb Europas jederzeit massiv unter Druck gesetzt werden, etwa auf Drängen der US-Politik. Diese Gefahr sei sogar noch größer als die eines Blackouts: „Werden erst einmal Cloud-Systeme von den USA aus abgeschaltet, wird uns allen die Abhängigkeit Europas so richtig bewusst werden.“ Denn dann würden Lieferketten und Zahlungssysteme zusammenbrechen, warnt Windbichler. „In diesem Fall würde uns auch der Strom nicht mehr helfen.“
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